Ode an den Mann, der mich selbstständig werden ließ

Es war vor ziemlich genau sieben Jahren. Die Redakteurin eines bekannten deutschen Verlages rief mich an, um zu fragen, ob ich Interesse daran hätte, die Übersetzung des 540 Seiten dicken Buches eines bekannten englischen Kochs und Autors zu lektorieren. Man suche für diese Aufgabe noch jemanden, der viel Erfahrung im Kochbuchbereich hat. Bingo – mein erster Auftrag als „Freie“! Ich hatte mich erst ein paar Wochen zuvor entschlossen, meinen watteweichen Job als festangestellte Lektorin an den Nagel zu hängen, um mich als Freiberuflerin zu versuchen. Nachdem ich es geschafft hatte, die aufkeimende Panik niederzudrücken, sagte ich mit zittriger Stimme zu. Ohne eine Ahnung zu haben, dass die Worte dieses Autors mich seither zuverlässig und treu wie ein liebgewonnenes, etwas in die Jahre gekommenes Auto durch mein Berufsleben begleiten. Der Mann heißt Nigel Slater.

Seine Worte begleiten mich seither zuverlässig und treu wie ein liebgewonnenes, etwas in die Jahre gekommenes Auto durch mein Berufsleben. Der Mann heißt Nigel Slater.

Mittlerweile hat er auch unter den deutschen (Koch-)buchliebhabern eine nicht kleine Fangemeinde. Trotzdem frage ich mich oft, warum sein Bekanntheitsgrad bei uns nicht längst in die Höhen eines anderen englischsprachigen Koches emporgeklettert ist. An der unvergleichlichen Köstlichkeit seiner Rezepte kann es ja nicht liegen. Wahrscheinlich, weil er leise ist. Und zwar nicht dieses farblose Leise, das dafür sorgt, dass man schnell in Vergessenheit gerät. Es ist vielmehr eines, das einen aufatmen lässt, wenn man in seiner Nähe ist – und dabei muss es nicht mal die persönliche räumliche Nähe sein. Es reicht vollkommen aus, eines seiner nie unter 300 Seiten dicken Wälzer auf dem Nachtkästchen liegen zu haben. Ich habe bisher noch keinen Kochbuchschreiber erlebt, der es schafft, den Leser zu sättigen, ohne nur eines seiner Gerichte je nachgekocht zu haben. Wer mich kennt weiß, dass mir nicht allzu sehr an poetischen oder gar leicht verschwurbelten Texten gelegen ist. Mr. Slater aber gelingt es, mit seiner so unnachahmlichen Poesie Schweinebauchscheiben zu glasieren und zu garen, Butter und Mehl mit einer unglaublichen Achtsamkeit zu weichen, kieselsteingroßen Crumbles zu vermählen, knubbelige Gemüsestücke mit einem Teig, zart wie Schmetterlingsflügel, zu ummanteln. Und unter all dem liegt der ihm eigene blitzgescheite Humor, der einen beim Lesen sanft schmunzeln lässt.

„Trotz der Schokolade glaube ich, dass es diesen (wie allen) Scones guttut, mit Butter bestrichen zu werden. Aber keine Sahne oder Marmelade. Ein Klecks Orangenmarmelade könnte allerdings erfreulich sein.“

Ach, ich liebe ihn. Wobei ich zugeben muss, dass meiner persönlichen Art zu kochen seine beiden aktuellsten Werke am nächsten kommen. Sie setzen ihren Schwerpunkt auf die Zubereitung von Gemüse, aber nicht allzu dogmatisch. Das ist seine Sache eh nicht. Er belegt indisches Naan-Brot mit Mozzarella und Tomaten oder kombiniert Gurke, Basilikum und Frischkäse zu einem herzhaften Kuchen. Aber – und jetzt kommt das Entscheidende – egal, ob ich die deutsche Übersetzung seiner Texte lektoriere (seine Art zu schreiben ist mir mit den Jahren fast freundschaftlich vertraut geworden), die Bücher auf meinem Nachttisch liegen (wie sagte meine liebe Freundin B. neulich? Jeden Abend vor dem Einschlafen verliebe ich mich ein bisschen mehr in diesen Mann…) oder ich nur darüber nachdenke, welches seiner Rezepte ich kochen könnte – es hinterlässt ein unglaublich gutes und wohliges Gefühl bei mir.

Dumont Buchverlag, Foto oben: Marie Claire Lukas

Auch wenn ich in meinem Alltag mit einem wuseligen Kleinkind ganz ehrlich oft nur dazu komme, Nudeln mit Pesto zu mischen, lässt mich alleine der Gedanke an Nigels heimelige, schummrige Küche im Keller seines Hauses, wo Rosmarin-geschwängerte Dampfwolken aus der geöffneten Ofentüre quellen, spritzige Zitronenschalen ihr Zitrusaroma an einfache Dressings für gebackenes Gemüse abgeben oder sämige Gerichte auf Getreidebasis ihre tröstliche Wärme verströmen, entspannen. Alleine die Möglichkeit, ich könnte all seine herrlichen Sachen ganz einfach und ohne großen Aufwand in meiner eigenen Küche herstellen, erzeugt ein zufriedenes Gefühl bei mir. Zynische Menschen mögen vielleicht denken, dass der Mann wahrscheinlich wenig Probleme in seinem Leben hat, als sich Gedanken um die Verwendung eines ganz bestimmten Rohmilchkäses eines ganz bestimmten englischen Bauern in einem ganz bestimmten Risotto zu machen. Oder aber der Frage nach dem korrekt geformten Schöpflöffel nachzugehen und darüber zu sinnieren, warum einige seiner Küchenutensilien ihm keine Freude bereitet haben (Suppe in einer zu glatten Schale? Einfach kaltherzig!). Ja, in unserer heutigen komplizierten und oftmals erbarmungslosen Welt, können es sich viele Menschen nicht leisten, über so etwas nachzudenken. Nichtsdestotrotz ist es doch beruhigend zu wissen, dass es solche Leute noch gibt, denen das wichtig ist. Nicht nur Nigel Slater selbst, sondern auch seinen Lesern. Dass es Schreiber gibt, die es schaffen, uns mit nur ein paar Zeilen in eine andere Welt zu versetzen – eine, in der man sich fühlt wie als Kind auf der Eckbank der Großeltern, vielleicht mit einem Glas Milch in der Hand, und darauf wartet, den Rührlöffel mit Kuchenteig abzuschlecken. Glücklich, geborgen, ohne Pflichten und Ansprüche an uns. Vielleicht ist es gerade das, was wir momentan brauchen.

Abschließend möchte ich noch kurz anfügen, dass dieser Mann auch in echt so zauberhaft ist, wie seine Bücher ihn vermuten lassen. Was man an meinem verzückten Gesicht eines verknallten Teenagers auf obigen Foto nur allzu deutlich erkennen kann. Im Herbst 2018 kam er im Rahmen des Internationalen Literaturfestivals für eine Lesung nach Berlin. Zusammen mit seinem deutschen Verlag Dumont und der brillanten Übersetzerin Sofia Blind (auf dem Foto links zu sehen) waren wir zuerst Gäste auf der Veranstaltung und später noch zu einem sehr privaten Dinner mit Mr. Slater verabredet. Ich habe noch nicht oft so einen bescheidenen, aufmerksamen und angenehmen Gesprächspartner erlebt. Er bot sogar an, sich mit dem Schreiben seines Buches zu beeilen, damit ich es noch vor der Geburt meiner Tochter bearbeiten kann…Das hat zwar nicht ganz hingehauen, aber fertig geworden ist das Buch in zwei Bänden (Greenfeast, Frühling/Somme sowie Herbst/Winter) trotzdem noch. Und ich kann – ganz uneigennützig – nur hoffen, dass Nigel Slater des Schreibens von Büchern über seine Art zu kochen, zu leben und zu denken nicht so schnell müde wird und ich auf meinen „Jahres-Slater“ niemals verzichten muss.

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Cookie Consent mit Real Cookie Banner