Erinnerung an einen Sommer

Vor ein paar Monaten, als wir alle zu Hause bleiben mussten, rief die Regisseurin und Autorin Doris Dörrie zu einem kostenlosen Schreibworkshop auf. Basierend auf ihrem Buch „Leben, Schreiben, Atmen – Eine Einladung zum Schreiben“ (absolute Leseempfehlung!) führt sie durch 18 Tutorials, die zum Schreiben ermutigen sollen. Über alles, was einem gerade so begegnet, schon einmal begegnet ist oder aber verschüttet von den Ereignissen des Lebens tief in einem selbst schlummert. Der erste Schwarm, der Boden in der Wohnung unserer Kindheit, die eigene Haut… Ohne Nachzudenken, ohne inneren Zensor und ganz ohne die Vorstellung, dass die eigenen Text irgendwer außer uns selbst jemals zu lesen bekommt. Ich habe es ausprobiert (5 Minuten am Morgen, wenn das Kind noch schnarcht und der erste Kaffee in der Tasse dampft) und das Ergebnis lest ihr weiter unten. Das Thema, das ich mir selbst vorgab, war „Sommer“. Es erstaunte mich, welch seltsame Wege meine Gedanken ganz tief in mein Hirn nahmen und diese Erinnerungen mit an die Oberfläche brachten.

In meiner Erinnerung war dieser Sommer endlos und der letzte, in dem wir mehr Kinder als Jugendliche waren.

Ich liege im Gras. Die Halme kitzeln meine Zehen, von Weitem hört man einen Rasenmäher surren. Der Geruch der Bratwürste, die wir erst heute Abend auf den Rost werfen, macht sich schon jetzt in meiner Nase breit. Ich klemme meine Wurst in eine längs aufgeschnittene Semmel – so sagt man in Bayern, da wo ich herkomme. Beim Gedanken an die schwärzlichen Röstspuren, die sich mit dem scharfen Senf vermischen und die Stellen, an denen die Bratwurst das Brötchen berührt, so richtig schön matschig werden lassen, läuft mir das Wasser im Mund zusammen.

Ein paar Gärten weiter hört man Kinder lachen. Ich denke an die Sommer meiner Kindheit, die ich mit meiner Freundin B. am Teich verbracht habe, der hinter der Fabrik ihrer Eltern lag. Es war der Sommer, in dem ich fast jeden Tag mein Outfit bestehend aus einer weiten Latzhose mit einem ärmellosen weißen Top trug und Clogs, die mit Leopardenmuster bedruckt waren. Ich fühlte mich erwachsen und unglaublich lässig darin. Damals war ich 13 Jahre alt.

Zusammen radelten wir zu der kleinen Hütte, die neben dem Teich lag und breiteten unsere Decken auf der Wiese aus. Ich hütete meine erste Mädchenzeitschrift wie einen Schatz. Darin wurde auf mehreren Seiten erklärt, wie man sich Muster nach dem neuesten Trend auf die Fingernägel malt. Ich kann mich noch genau an die Farben erinnern, die man verwenden sollte: Ein tiefdunkles Rot, fast schon Braun, im Kontrast mit weißen Tupfen und Strichen, die am einfachsten mit einem dünnen Pinsel aufzutragen waren. Stunden verbrachten wir damit, besagte Muster auf unsere Nägel zu malen – es klappte nie so akkurat, wie wir uns das erhofften.

Zwischendrin sprangen wir in den Schwimmteich – keine Ahnung, wann meine Angst vor Gewässern, die so dunkel sind, dass man den Boden unter sich nicht mehr erkennen kann, die Überhand gewann – schwammen ein paar Bahnen und taten so, als spielten wir Bongo-Trommeln auf den riesigen grünen Blättern der Seerosen.

In meiner Erinnerung war dieser Sommer endlos und der letzte, in dem wir mehr Kinder als Jugendliche waren. Danach begannen wir, unsere Körper kritischer zu sehen, uns Gedanken um Jungs und das war sie von uns dachten zu machen. Ich fühlte mich immer plump und unattraktiv neben meiner Freundin, die zierlich und dunkelhaarig war, mit großen braunen Augen und reiner Haut. Wir vereinbarten ein geheimes Zeichen, das ich ihr geben sollte, wenn die Spitze ihres rechten Ohres, die sie immer unter ihrem streng an den Ohren entlanggebundenen Pferdeschwanz versteckte, herauslugte. Sie litt unter ihrem angeblichen „Spockohr“.

Was sie wohl heute von sich und ihrem Ohr hält? In diesem Sommer am Seerosenteich wussten wir nicht, dass unsere Freundschaft nur kurze Zeit danach für immer beendet sein wird. Der Grund? Ich kann mich nicht einmal richtig daran erinnern. Ich hoffe, heute als Erwachsene, werden wir niemals mehr so leichtfertig Freundschaften beenden, denn wir wissen inzwischen, dass die richtig Guten nicht so einfach daherkommen.

Photo by Sora Sagano on Unsplash

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